Dienstag, 6. August 2013

Christoph Böll: „Sehenden Auges“ - Von Anekdote zu Anekdote

Christoph Böll: Sehendes Auge, Filmstill


Wie viele Anekdoten benötigt ein Film, um selbst ganz Anekdote zu werden? Zahlreiche, möchte man meinen und eben jene zahlreichen „Geschichtlein“ begegnen uns in der filmischen Arbeit von Christoph Böll „Sehenden Auges“. Sie alle drehen sich um Max Imdahl, den Bochumer Kunsthistoriker, der im Jahr 1965 den ersten Lehrstuhl des Fachbereichs Kunstgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum übernahm und heute ein Vorbild für viele ist. 

Christoph Böll: Sehendes Auge, Filmstill

Die visuelle Auseinandersetzung mit dem Werk war seine Voraussetzung für die kunsthistorische Arbeit. Ikonographie und kunsthistorische Kontexte hätten hinten angestanden, suggeriert uns der Film. Imdahls Vorlesungen waren gut besucht, Studenten aus Wien und anderen Universitätsstädten mit langer Tradition reisten nach Bochum, wo die Hochschule noch aus dem Boden gestampft werden musste. Sie schätzten sein offenes Ohr und seine Art, ungewöhnliche Fragen zu stellen.

Christoph Böll: Sehendes Auge, Filmstill

All dies erfahren wir in Bölls Film. Und noch vieles mehr. Imdahl als Erster, der sich mit Arbeitern über Kunst unterhält; Imdahl, der Lehrer, der drei Stunden lang mit seinen Studenten Schallplatten hörte; der Dozent, der seine Hilfskräfte und Assistenten um ehrliche Meinungen bat und sie beim Zusammenstellen seiner Sätze aus einzelnen ausgeschnittenen Worten zu Hilfe zog. Phrasen und allerlei Aussprüche Imdahls schildern uns seine ehemaligen Schüler zu genüge in dem Filmmaterial. Sie reflektieren über seine Arbeit, speisen die Geschichten aus ihrer Erinnerung und das begegnet uns eben hauptsächlich in Bölls Arbeit: Erinnerungen an den großen Max Imdahl. 

Christoph Böll: Sehendes Auge, Filmstill

Sie glorifizieren ihn zwar nicht, lassen ihn selbst aber – wenn mit Sicherheit auch ungewollt – zur Anekdote werden. Der Wissenschaftler im Kunsthistoriker wird kaum ans Tageslicht gebracht. Denn keineswegs vernachlässigte Imdahl Ikonographien und kunsthistorische Kontexte, er kannte sein Handwerkszeug und arbeitete damit, wenn auch sein Ansatz vom Bildmaterial ausging. Ebenso wird der Künstler Imdahl, der er zu Beginn und zum Ende seines Lebens war, kaum erwähnt. 

Christoph Böll

Den Zuschauer erwarten 110 Minuten voller Erinnerungen der Schüler an ihren Lehrer und seine Person. Untermalt wird der Film von fernöstlichen Motiven, klassischer Musik wie Beethoven oder Ausdruckstanz-Einlagen. Beethoven ließe sich wohl deswegen rechtfertigen, weil Imdahl die Eroica seinen Schülern immer wieder vorspielte und sie als Inspiration wählte. Aber sowohl die Fernost-Sujets als auch der Ausdruckstanz scheinen mehr Lückenfüller oder ästhetisches Mittel zu sein, als eine Aussage machen zu wollen. Böll überrascht weder mit den Kameraeinstellungen noch durch den Inhalt. Die ersten zwanzig Minuten sind sehenswert, die restlichen Neunzig eine Wiederholung des Anfangs. 

Liza

Samstag, 3. August 2013

Schlaglicht auf Berlin – Ein Treffen mit Hilma af Klint


Hilma af Klint: Das Kindesalter, Nr.1, Gruppe IV, Farbe auf Leinwand, 1907.



Wer Lust auf einen Ausflug außerhalb des Kulturraums NRW hat, sollte einen Besuch der Hauptstadt in Erwägung ziehen. Dort kann man im Hamburger Bahnhof vom 15. Juni bis zum 6. Oktober 2013 dem spiritistischen Werk der schwedischen Künstlerin Hilma af Klint begegnen. Ihre Arbeiten wurden bisher nur selten ausgestellt und die aktuelle Ausstellung bietet den bisher größten Umfang ihres Œuvre zur Sichtung an. Ihr Nachlass besteht aus mehr als 1000 Werken und 125 Notizbüchern.


Hilma af Klint: Notizbuch.

Man wird von der ästhetischen und gestalterischen Vielfalt ihrer Kunst überrascht, die sich von Raum zu Raum immer fassettenreicher entwickelt. Skizzenbücher, Zeichnungen, gegenständliche und abstrakte Malereien wechseln sich ab, oder werden in Bildern kombiniert. Eine besondere Vorliebe für florale Ornamente, Symbole, Schriftzeichen, Spiegelungen und kräftige Farben lässt sich schnell erkennen.


Hilma af Klint: Der Schwan, Nr.1, Gruppe IX, Farbe auf Leinwand, 1915.


Doch was macht diese Arbeiten so besonders? Hilma af Klint verschrieb ihr Leben und Werk dem Spiritismus. Ihr Interesse galt der Theosophie und Anthroposophie. Anhand ihrer Kunst wollte sie Erkenntnis über die verschiedenen Dimensionen des Daseins erlangen und unsichtbare Zusammenhänge zwischen diesen sichtbar machen. Ihre Arbeit ist nicht an ästhetische Theorien gebunden, sondern entsteht vor allem bei Séancen, durch die sie Kontakt zu höheren Wesenheiten erlangte, die sie automatisch schreiben, zeichnen und malen ließen.


Hilma af Klint: Evolution, Nr. 15, Gruppe VI, Farbe auf Leinwand, 1908.


Hilma af Klint schafft mehrere Werkgruppen, die sich jeweils mit unterschiedlichen Themen wie beispielsweise Evolution, Geschlechtlichkeiten, oder Lebensalter, auseinander setzen. Die Gemälde zum Tempel bilden ihre umfangreichste Werkgruppe.


Hilma af Klint: Altarbild, Nr.1, Gruppe X, Farbe auf Leinwand, 1915.


Der Diskurs über die Werke Hilma af Klints betont ihre Rolle als Pionierin der Abstraktion, da sie bereits 1906 eine abstrakte Bildsprache entwickelte, jedoch ist dies zu hinterfragen, da sie kein aktiver Teil der Kunstszene war. Sie hat zu Lebzeiten niemals ausgestellt und konnte somit keinen Einfluss auf die Entwicklung der Abstraktion in der Kunst haben. Der Grund für die Entwicklung der Abstraktion lässt sich somit ehr in der gesellschaftlichen Entwicklung und daraus resultierenden ästhetischen Fragen suchen.


Hilma af Klint: Der Schwan, Nr.17, Gruppe IX, Farbe auf Leinwand, 1915.


Als Kennzeichen der Moderne wird in der Literatur die Prozesshaftigkeit der Werke verstanden. Dies lässt sich definitiv auch bei Hilma af Klint feststellen. Auch sie legte ein besonderes Augenmerk auf Zustandsveränderungen, Transformationen, Metamorphosen, schuf seriell und arbeitete auf ein Ziel hin. Der Künstler verstand sich immer mehr als performativer Akt, als Medium und Mittler, was ebenfalls als weitere Parallele festgehalten werden kann. Das Interesse von Künstlern für Metaphysik und Spiritismus war ein Trend dieser Zeit, dem auch bekannte Größen wie Wassily Kandinsky folgten.


Wassily Kandinsky: Farbstudie Quardrate, Farbe auf Leinwand, 1913.


Die Frage, ob die Kunstgeschichte wegen der Entdeckung von Hilma af Klints Werk nun umgeschrieben werden muss, kann meiner Meinung nach mit einem deutlichen „Nein“ beantwortet werden. Doch ihre selbstbewusste Arbeit als weibliche Künstlerin ist ein wunderbar frühes Beispiel für die Tendenzen und Ausformungen der modernen Kunst um 1900.

Hilma af Klint: Das Jünglingsalter, Nr.3, Gruppe IV, Farbe auf Leinwand, 1907.


Lara

Freitag, 14. Juni 2013

A Tribute to Man Ray



L. Fritz Gruber: Man Ray und Renate Gruber, Sommer 1960, Farbfotografie.

Wenn man ein Interesse für Fotografie hegt sollte einem der Name Man Ray bekannt vorkommen. Das Museum Ludwig lockt derzeit mit einer Ausstellung von Man Rays berühmten Portraitfotografien und zahlreichen Exponaten des L. Fritz Gruber Archivs, die sehr private Einblicke in Man Rays Leben und die enge Freundschaft mit dem Ehepaar Gruber gewähren.



Duane Michals, Man Ray, Juliet, Renate und L. Fritz Gruber im Studio von Man Ray, Paris 1973, s/w Fotografie.


 Das Museum bewirbt die Ausstellung mit einem neckischem Foto Man Rays mit Renate Gruber. Es wird einem nicht nur die enge Verbindung zwischen Künstler und Sammler, sondern auch Mode und Zeitgeist vor Augen geführt. Unterstützend sind zahlreiche Aufnahmen der Privaträume und des Ateliers Man Rays exponiert. Wer noch tiefer in das Leben und Arbeiten des berühmten Fotokünstlers eintauchen möchte, kann sogar einige Briefe einsehen, die dem Besucher als Kopien zur Verfügung gestellt werden.


Man Ray: Masque, Rayographie, ca. 1920.


Auch wenn Man Ray häufig nur mit seinen Rayographien assoziiert wird, bietet das Œuvre eine gewisse Vielfältigkeit an, die auch in der Ausstellung des Museum Ludwig zur Geltung gelangen kann. Neben eben diesen Fotogrammen gibt es 37 Kontaktabzüge von Portraits zu betrachten, die auf der Rückseite von Man Ray selbst mit einer Note bewertet wurden. Gefallen oder Missfallen liegt wie man weiß im Auge des Betrachters, so überraschen viele negative Einstufungen doch sehr. Neben unbekannten Schönheiten finden sich auch zahlreiche Prominente unter diesen Bildern. Besonders bemerkenswert sind beispielsweise die Fotografien von Coco Chanel, Max Ernst und Pablo Picasso.


Man Ray: Coco Chanel, 1935, s/w Fotografie.

Wer sich für Man Rays surrealistische Fotografien interessiert wird auch auf seine Kosten kommen. Glass Tears von 1932, Gräfin Casati von 1928 und Le Violon d’Ingres von 1924 sind die wohl prominentesten Beispiele Man Rays Arbeiten der 1920er und 1930er Jahre. Seine fotografischen Techniken mögen uns im Zeitalter der digitalen Fotografie nicht mehr im gleichen Maße überwältigen, wie sie die Rezipienten zu jener Zeit überwältigt haben, doch stellt man sie in den zeitlichen Kontext sind seine Arbeiten schlichtweg bemerkenswert. Auch aus den Briefen lässt sich die Begeisterung für seine Technik herauslesen.


Man Ray: Kiki mit Maske, 1926, s/w Fotografie.

 Die Anerkennung der Fotografie als Kunstform war in den 1920er Jahren noch äußerst umstritten. Das neue Medium bildete vor allem mit großer Detailtreue die Realität ab und machte somit den Künstlern Konkurrenz, die sich dem Realismus verschrieben hatten. Wo ist die Kunst in einem mechanisch und physikalisch erzeugten Bild noch vorhanden? Man Rays Mut dieses in der Kunstszene abgelehnte Medium dennoch zu nutzen und letztendlich der Fotografie ihren künstlerischen Wert zu erarbeiten macht diesen Künstler zu einen der wichtigsten Figuren der Fotokunst des 20. Jahrhunderts.


 
Man Ray: Die Violine von Ingres, 1924, s/w Fotografie.

Wie Oscar Wilde schon sagte: „Nachahmung ist die schönste Form der Anerkennung.“ Dies dachten sich wahrscheinlich auch die Fotografen, die liebevoll den Meister auf ihre eigene Art zitieren. Hier sind nur einige Beispiele ihrer Tribute.


Jocelyne Grivaud: Barbie Man Ray, ca. 2009, Fotografie.

Legge:  Tribute to Man Ray, 2012, s/w Fotografie.

Gaetan Caputo: A Tribute to Man Ray, s/w Fotografie.

Lara

Freitag, 5. April 2013

Die Picassos aus Arles: Tagebuch eines Malers



 
Pablo Picasso, Die Tarasque, 1971, Musée Réattu, Arles. 


Arles, Südfrankreich, 1971. Der Direktor des Musée Réattu Jean-Marie Rouquette erhält einen Anruf und steht kurze Zeit später vor 57 Zeichnungen, die er in seinem Museum ausstellen soll. Die Graphiken stammen von keinem geringeren als Pablo Picasso, der zu dieser Zeit bereits in der Villa Notre-Dame-de-Vie in Mougins bei Cannes lebte, unweit von Arles. Geschaffen hatte er den Zyklus zwischen dem 31. Dezember 1970 und dem 4. Februar 1971, jedes Werk ist datiert, signiert und im Falle einer Serie auch nummeriert. Daher entstand auch die Idee zum Titel „Tagebuch eines Malers“, da der Besucher in dieser Ausstellung lückenlos die 36 Tage im künstlerischen Schaffen des Spaniers nachvollziehen kann.
Da Picasso bekannt für seine rasche Arbeitsweise war, mag die Menge von 57 Zeichnungen innerhalb von 36 Tagen vorerst nicht verwunderlich erscheinen. Betrachtet man dann aber beispielsweise die Serie der Musketiere, wird deutlich, mit welchem Schaffensfuror Picasso ans Werk gegangen sein muss.



Pablo Picasso, Musketier (VIII von VIII), 1971, Musée Reattu, Arles    




Die Serie besteht aus acht Zeichnungen gleichen Formats, mal weniger mal mehr ausformuliert, die am Dienstag entstanden sind. Picasso brach hier mit der Vorstellung, dass sich innerhalb solch eines Zyklus eine Weiterentwicklung zum Detaillierten oder Abstrakten vollziehe. Solch ein Fortschritt ist bei den Musketieren nicht zu erkennen. Zeichnungen von einfacher oder besonders detaillierter Manier wechseln sich ohne deutliches Muster ab und nur dank der Nummerierung der Werke von I bis VIII, die Picasso vorgenommen hatte, ist es den Kuratoren heute möglich, die Serie in die korrekte Reihenfolge zu bringen. Man fragt sich aber doch, warum Picasso diese Nummerierung vornahm, wenn keine Entwicklung zu erkennen ist. Nun, zum Einen hat das spanische Allround-Talent beinahe obsessiv seine Werke datiert und signiert: „Das Werk, das man malt, ist eine Art, Tagebuch zu führen“, meinte Picasso zu Tériade einst. Und er war auch der Meinung, Signatur und Datierung würden den Betrachtern seiner Kunst dazu verhelfen,  sie besser zu verstehen, indem sie verstehen, in welchem Lebensabschnitt er sein Werk geschaffen hat. Er konnte nie verstehen, warum es dermaßen zahlreiche Interpretationen zu seinem Werk gab, wo er selbst doch immer nur eine sah. Verraten hat Picasso uns diese Interpretation bedauerlicherweise nicht, aber durch seine penible Art zu signieren, datieren und nummerieren wollte er es uns leichter machen, diese selbst zu entdecken. Eine andere Ursache der Nummerierung liegt meiner Meinung nach ebenfalls im Wunsch, den Betrachtern etwas zu vermitteln. Eben, weil es keine merkliche Weiterentwicklung gibt, hat er die Abfolge der Serie festgelegt und sichtbar gemacht. Es gibt sehr wohl eine Entwicklung von Bild zu Bild, jedes Bild drückt eine Wahrheit des Musketiers aus, die das Bild zu einem eigenständigen Werk und nicht zum Teil einer Serie macht. Doch wollte er die Vorstellung durchbrechen, dass Entwicklung etwas mit „Vorwärtsentwicklung zu tun haben muss. Den Denkprozess des Künstlers offenzulegen, das war die Idee Picassos hinter der Nummerierung.
Mit festen Vorstellungen zu brechen und Tabuthemen auf den Tisch zu bringen, gehörte zu Picassos Lieblingsbeschäftigung. Dies zeigt ein anderes großes Sujet in diesen 57 Zeichnungen. Es geht um erotische, beinahe pornographische Kunst.





Pablo Picasso, Mann mit Gitarre, 1971, Musée Réattu, Arles.


Hier handelt es sich um eine erotisch angehauchte Darstellung, doch einige Werke der Ausstellung zeigen deutliche Phallussymbole und gehen so weit, dass die Handlung oder die Anspielung im Werk ziemlich eindeutig ist. Schon in den Jahren nach der Jahrhundertwende arbeitete Picasso gemeinsam mit dem Schriftsteller Guillaume Apollinaire an pornographischen Darstellungen um gegen den bürgerlichen Moralbegriff zu rebellieren. Nicht nur die Darstellungen von Akten erhalten Einzug in Picassos Werk, auch sexuelle Handlungen bis hin zu Vergewaltigungen zieren sein Oeuvre (Eine Sammlung solcher Werke findet sich in der Suite Vollard). Wieso aber nimmt er noch einmal Anfang der 70er Jahre Bezug auf dieses Sujet, wenn er sein Lebenswerk in diesen Zeichnungen Revue passieren lässt? Ein Grund dafür liegt wohl in der Ausstellungskonzeption jener Zeit. Sie hat diesen Teil aus Picassos Oeuvre größtenteils ausgeklammert und totgeschwiegen. 1971 will Picasso also mehr gegen den Moralbegriff der Museen und Kuratoren rebellieren, als der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Er macht deutlich, dass die Sexualität bis hin zur Pornographie einen wichtigen Teil seines künstlerischen Werkes darstellt und gezeigt werden muss, um sein Oeuvre zu verstehen. Um ein weiteres Mal ist er also an der Sichtweise seiner Werke durch ihre Betrachter interessiert und versucht auf diese Einfluss zu nehmen.
Diese letzte Idee wird auch in der Gesamtkonzeption der 57 Zeichnungen deutlich. Da Picasso  die Serie einzig für das Musée Réattu angefertigt hat, konnte er selbst Einfluss darauf nehmen, wie die Besucher sein Werk 1971 verstehen sollten. Zwei Jahre vor seinem Tod beschäftigt sich der Spanier immer mehr mit der Frage, was sein Lebenswerk ausgemacht hat und was er hinterlässt. Aus diesem Grund stellt sich Schaffen am Ende seines Lebens hauptsächlich graphisch dar, da diese Arbeitsweise um einiges rascher ging als die Ölmalerei oder die Anfertigung einer Skultpur: „Ich habe immer mehr zu sagen und immer weniger Zeit“, soll Picasso kurz vor seinem Tod gemeint haben. Und typisch für einen Künstler, der sich selbst als größter Neuerer seiner Zeit gesehen haben dürfte, setzt er sich mit den wichtigsten Sujets seines Werkes noch einmal auseinander. Dazu gehören neben den historischen-literarischen Paraphrasen nach anderen Künstlern (Musketiere) und den Aktdarstellungen (Sexualität) auch die Harlekine und die Maskerade.



Pablo Picasso, Harlekin, (I von IV), 1971, Musée Réattu.

Der traurige Pierrot ist neben dem Stier eines der frühsten Sujets Picassos. Es taucht 1905 erstmals auf und markiert den Übergang von der blauen zur rosa Periode, ab diesem Zeitpunkt sollte diese Außenseiterfigur Picassos Oeuvre ein Leben lang begleiten und in jedem neuen Stil und jedem neuen Medium des Künstlers auftauchen.
Ziemlich deutlich hat Picasso also noch selbst an dem Bild mitgearbeitet, dass die Nachwelt einmal von ihm und seinem Gesamtwerk haben sollte. Mit neuen Ideen zum Betrachterstandpunkt und zur Behandlung des Betrachters hat sich Picasso nicht auseinandergesetzt. Trotzdem nahm er in zahlreichen Werken Bezug auf seine Zuschauer. Als emanzipiert allerdings könnte man jenen nicht bezeichnen, denn Picasso ist es, der die Ideen und Empfindungen seiner Betrachter lenkt und sie manipuliert, wie er es auch durch die angeblich spontanen Fotografien von sich selbst versuchte, die, wie wir durch die Fotografen erfuhren, penibel geplant wurden.
Ich finde die Ausstellung sehr gelungen und konnte bei den meisten Besuchern vor allem Freude und Amüsement beobachten, denn viele Zeichnungen sind ironisch und stecken voller Anspielungen oder zeigen einen exzentrischen bis beinahe verletzlichen Picasso. Im Zusammenspiel mit den Fotografien aus Arles, die Picasso zeigen, ist der Blick in die 36 Tage im Leben des Künstlers spannend und regt zum Nachdenken an. Schließlich möchte ich noch die Ausstellung in der oberen Etage des Museum erwähnen, sie zeigt das Spätwerk des Künstlers Georges Braque. Und wenn ich auch wenig begeistert bin von den Vogeldarstellungen, ist es allein die Serie zu Hesiods „Theogonie“ wert, diesen Teil der Ausstellung ebenfalls zu besuchen.


Liza





Donnerstag, 4. April 2013

Ein surrealistisches Puppenspiel




Katarzyna Kozyra wurde 1963 in Warschau geboren, studierte Bildhauerei an der Akademie der Schönen Künste und Medienkunst an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. So vielseitig wie ihre Ausbildung, sind auch ihre Arbeiten, die genreübergreifend Theater, Performance, Video und Skulptur vereinen. Die aktuelle Ausstellung Master of Puppets ist dem Düsseldorfer Schmela Haus auf den Laib geschneidert worden. Der sehr individuelle und kleine Kunstraum wurde von der Künstlerin selbst mit ihren Werken bestückt. Es erwartet den Besucher ein interessanter Einblick in verschiedenste Projekte Kozyras.


Katarzyna Kozyra: Summertale, 2008, Film, Farbe, Ton, Filmstill.

Der Titel der Ausstellung ist durchweg Programm. Kozyra ist gleichzeitig Puppenspieler und Puppe. Sie inszeniert um sich herum verrückte, an den Surrealismus erinnernde Performances, in denen sie verschiedenste Rollen einnimmt. Sie stößt sich an gesellschaftlichen Konventionen, sein es Geschlechterrollen, Märchenerzählungen, Berufe oder einfach nur das Individuum selbst. Sie schlüpft in verschiedenste Rollen und hinterfragt damit sich selbst und die Erwartungshaltung des Zuschauers. Scham scheint in diesen erdachten Welten nicht zu existieren.

Katarzyna Kozyra: Cheerleader, 2006, Film, Farbe, Ton, Filmstill.

Schon die Band Metallica setzte sich auf ihrem berühmten Album, das ebenfalls Master of Puppets heißt, künstlerisch mit Themen Zwang, Kontrolle, Kontrollverlust, Abhängigkeit, Geisteskrankheit und Religion auseinander. Kozyras Arbeiten sind ebenfalls nichts für zart beseidete Nerven. Blut, Geschlechtsorgane, meuchelnde Zwerge und Travestieauftritte reihen sich eng nebeneinander. Viele Filme haben dabei einen sehr dokumentarischen Charakter und zeigen Kozyras Entwicklung während des Projektes auf.

Katarzyna Kozyra: Men's Bath House, 1999, Film, Farbe, Ton, Filmstill.

Im obersten Stock erwarten einen zahlreiche Kostüme und Requisiten aus den präsenten Arbeiten. Der Zuschauer wird dadurch noch stärker mit den Werken konfrontiert. Durch diese Nähe bildet sich eine realere Erfahrung aus, als es allein durch den distanzierten Bildschirm oder die Projektionsflächen möglich wäre. Wer mutig genug ist und Kozyras Arbeiten mit dem innewohnenden Ernst und gleichzeitigen Witz erleben möchte, sollte die Ausstellung unbedingt besuchen.

Katarzyna Kozyra: Il Castrato, 2006, Film, Farbe, Ton, Filmstill.


Lara

Video: Massenmedium - Kunstmedium

Paul McCarthy: Upside Down Spitting - Bat, 1975, Basement Tapes, Film, schwarz/weiß, Ton, Filmstill.


Das ZKM in Karlsruhe läd zu seiner Vidéo Vintage Ausstellung ein, die zuvor sehr erfolgreich im Pariser Centre de Pompidou kuriert wurde. Man sollte sich für den Besuch sehr viel Zeit mitbringen, da sich die Menge von 72 Videoarbeiten von 53 Verschiedenen Künstlern kaum an einem Tag bewältigen lässt. Das ZKM dachte jedoch mit und schuf dem Besucher einen angenehmen Aufenthaltsort, indem es diverse Möbel und Einrichtungsgegenstände der 60er und 70er Jahre zusammen trug und die Videos in einen passenden optischen Umraum einzufassen. Viele der Videoarbeiten mussten im Voraus digitalisiert und restauriert werden. Wiedergegeben werden diese über ebenfalls der Entstehungszeit entsprechenden Fernsehapparaten oder durch moderne Projektionen. Diese Präsentation ist ungewohnt und vielleicht auch etwas übertrieben, da das Design der Objekte der angewandten Kunst auch sehr von den Videoarbeiten ablenken können.


Bill Viola: Reverse Television - Portraits of Viewers, 1883-84, Film, Farbe, Filmstills

Die Ausstellung ist in drei Themengruppen gegliedert. Den Besucher empfängt zu Beginn der Schwerpunkt Performance, in dem einem bekannte Künstler wie Paul McCarthy mit ihren Videoexperimenten begegnen. Anschließend folgen Arbeiten, in denen sich die Künstler besonders dem Thema Fernsehen, gewidmet haben. Bill Viola filmte 1984 in einer Kooperation mit einem US-amerikanischen Fernsehsender seine Arbeit „Reverse Television – Portraits of Viewers“, in der die Position des Rezipienten genau studiert wird. Der Rezipient wird von seinem Fernsehapparat ebenfalls angestarrt gleichzeitig stellt Viola damit die Position des Betrachters seiner Kunst in Frage. Abschließend gelangt man in den dritten und letzten Abschnitt der Ausstellung, der mit „Haltungen, Formen, Konzepte“ betitelt ist. Der Besucher kann hier einen Einblick in den theoretischen Hintergrund der Videokunst bekommen, die oft nicht nur experimentell, sonder auch strickt geplant und organisiert ist.


Nam June Paik: Global Groove, 1973, Film, Farbe, Ton, Filmstill.

Von Nam June Paiks „Button Happening“ von 1965 nimmt die Position des ältesten Videokunstwerks in der Ausstellung ein. Auch seine Arbeit „Global move“ ist als bedeutendes Werk der Videokunst bekannt. Paiks Position als Pionier dieser Kunstgattung lässt sich in dieser Ausstellung gut nachvollziehen.


Gerry Schum, Josef Beuys: Filz-TV, aus der Serie Identifications, 1970, Film, schwarz/weiß, Filmstill.

Es ist anhand der Exponate gut nachvollziehbar, was die Einführung eines derartigen neuen Mediums für die Kunstszene bedeutete. Die neue Freiheit in der Produktion und Handhabung machte neue Arten von Performances möglich, die auf einem Film fixiert und jederzeit wiederholt werden konnten. Neue Sehgewohnheiten und Ästhetiken wurden erarbeitet und erlernt, die für unser heutiges Medienerlebnis selbstverständlich sind. Den Ursprung unserer Video- und Fernsehkultur nachempfinden zu können ist sehr interessant. 


Gerry Schum, Josef Beuys: Filz-TV, aus der Serie Identifications, 1970, Film, schwarz/weiß, Filmstill.

Das erfolgreiche Massenmedium wird durch die Kunst gefeiert, kritisiert und entfremdet. Auch theoretische Diskurse, wie beispielsweise Walter Benjamins These über die Entwertung des Kunstwerkes durch seine technische Reproduzierbarkeit werden persönlich erfahrbar. Doch nicht nur die negativen, sondern auch die positiven Aspekte der medialen Kunst sind präsent. Denn sie wird durch ihre Wiederholbarkeit auch mehr Menschen zugänglich. Der Besuch der Vidéo Vintage Ausstellung ist definitiv reich an Bildern und Emotionen und gibt auch Besuchern eine Chance, die vielleicht bisher keinen Zugang zu Medienkunst fanden.

Lara

Mittwoch, 3. April 2013

Camp is not dead!




Julia Stoschek konzentriert sich in ihrer Ausstellung Number 6: Flaming Creatures auf den Kunsttypus Camp, der alle Arbeiten dieser Ausstellung verbindet. Namensgebend ist der Film des US-amerikanischen Künstlers Jack Smith, der die maßgebende Rolle der Ausstellung einnimmt. Flaming Creatures entstand 1963 und wurde wegen seiner sexuellen Obszönität in den USA stark verurteilt. Jack Smith sorgte mit diesem Film für einen die Gesellschaft erschütternden Skandal, sodass die Filmaufführungen systematisch verboten und das Filmmaterial von der Polizei konfisziert wurde.

Jack Smith: Flaming Creatures, 1963, Film, schwarz/weiß, Ton, Filmstill.

Ich fragte mich, ob Kunst aus den 60ern und 70ern für mich immer noch „campy“ sein würde, oder ob mich mein Alter und meine Medienerfahrung schon diesem Phänomen gegenüber abgebrüht hat. Doch tatsächlich haben die Arbeiten von Bruce Nauman und Paul McCarthy immer noch einen Grad an Theatralik und Übertreibung in sich, der selbst den abgebrühten 80er-Jahrgang irritiert.

Bruce Nauman: Pulling Mouth, 1969, 16 mm Film übertragen durch Video,  schwarz/weiß, stumm, Filmstill.

Doch was ist eigentlich Camp? Die Definition und die Unterscheidung von Camp, nicht Camp, campy, oder camping gestaltete sich anfangs für mich ehr schwierig. Der einleitende Text zur Ausstellung verrät, dass es sich bei Camp um eine „überpointierte Art der Wahrnehmung handelt, die sich im Zuge des Ästhetizismus und des Dandytums entwickelte.“ Somit lässt sich der Beginn des Camp Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts datierten. Wie wir es durch die Exponate der Ausstellung erleben können, entwickelte sich der Höhepunkt der Camp-Kunst in den 50er und 60er Jahren.

Tony Oursler, Sonic Youth: Tunic (Song for Karen), 1990, Video, Farbe, Ton, Filmstill. 

Was uns Julia Stoschek auch beibringt: Camp is not dead! Stetig entwickelt sich die Camp-Kultur weiter und kreiert verschiedenste kulturelle Produkte und Personen. Die Ausstellung bietet nicht nur Klassiker der Medienkunst, sondern auch aktuelle Werke von John Bock, Tony Oursler, Ryan Trecartin und Aura Rosenberg. Besonders steht die selbstironische und übertriebene Darstellung von Weiblichkeit im Vordergrund, wie sie oft in der homosexuellen Subkultur zu finden sind. Die Künstler spielen in ihren Werken mit der Erwartungshaltung der Zuschauer, sowie deren Werte- und Gesellschaftssystem.

Aura Rosenberg, Mike Kelley: Carmen, 1996, Farbfotografie,  Titenstrahldruck, 104 x 78 cm.

 Susan Sontag versuchte sich 1964 in ihrem Essay „Notes on Camp“ an einer Definition dieses Phänomens. Was Camp ausmacht und was nicht, ist sehr differenziell aufzufassen. Die wichtigsten Eigenschaften von Camp, die ich für mich herauslese sind: die Liebe zum Unnatürlichen; der Hang zum Ästhetizismus; eine starke Attitüde; verwirrende Geschlechtslosigkeit; Naivität; das Schaffen von alternativen Standards; etwas Spielerisches, Komisches an sich haben.

Ryan Trecartin: Sibling Topics (section a), 2009, Farbfilm, Ton, Filmstill.

Um sich einen Eindruck von Camp-Kunst zu machen und um sich eine Auszeit von der ernsten Realität zu nehmen ist die Ausstellung Number 6: Flaming Creatures gold richtig. Der Besuch wirkt belebend und bringt erfrischende Eindrücke mit sich.

Lara