Das
Land Nordrhein-Westfalen hat viele interessante Museen und Ausstellungen in
seiner Kulturlandschaft zu verorten. Trotzdem soll hier auch einmal aufmerksam
gemacht werden auf ausländische Museen. Wer sich entweder in nächster Zeit oder
aber auch in unbekannter Zukunft in Israel einfindet, sollte Tel Aviv, die westlich orientierte Stadt des Staates besuchen. Dort befindet
sich das Tel Aviv Museum of Art,
das im Zeitraum vom 18. Mai bis zum 28. September eine Auswahl israelischer zeitgenössischer
Arbeiten zeigt. Unter ihnen sind Werke der Künstlerin Deganit Berest zu sehen unter dem Titel „Deganit Berest: The
Conspiracy of Nature Works, 1973-2003. The 2012 Rappaport
Prize for an Established Israeli Painter“.
Deganit Berest, Zeppelin, 1990, Pigmentdruck auf Archivpapier, 65 x 90 cm. |
Deganit
Berest (*1949) lebt und arbeitet in Tel Aviv und kann seit 1973 einige
Einzelausstellungen in Israel und im Ausland verzeichnen. Seit etwa dieser Zeit
hat Berest begonnen, sich mit dem Verhältnis zwischen Malerei und Fotografie auseinanderzusetzen, was sich in dieser
Ausstellung, die Werke der letzten 30 Jahrzehnte im Leben Berests vorweisen
kann, deutlich zeigt. Besonders beeindruckt hat mich dabei die Serie
„Bathers“.
Deganit Berest vor einem Teil der Serie „Bathers“, 1990.
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Der
Name suggeriert, dass sich uns hier ausschließlich Menschen im oder am
Wasser zeigen, tatsächlich sehen
wir aber auch die verstörende Figur eines Menschen mit Maske und auch die
Figuren der Badenden haben etwas Rätselhaftes und lösen ein Gefühl des
Unbehagens im Betrachter aus.
Seit
langer Zeit beschäftigt sich die Künstlerin mit Gewässern aller Art. Vor allem
das Tote Meer und der See
Genezareth haben Eingang in ihr
Werk gefunden. Zu Beginn dieser Arbeiten reiste Berest durch Israel und
fotografierte diese beiden Gewässer, zwei der „vier Meere Israels“. Da es sich
meist um Schnappschüsse handelte, schlichen sich immer öfter Menschen in die
Aufnahmen ein. Sie tauchen ins Wasser ein, aus ihm auf, sind in Bewegung oder
schweben auf dem Salzteppich des Toten Meeres. Am Computer bearbeitete Berest
die Fotografien soweit, dass sich nun nur noch ein kleiner Ausschnitt des
Bildes aus großen Pixeln
zusammensetzte.
Deganit Berest, Untitled (Diver #2), 2008, Pigmentdruck
auf Papier
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Mit
diesen Arbeiten bewegt sich die israelische Künstlerin an der Schwelle
zwischen Abstraktion und figurativer Kunst. Denn auf den ersten Blick eröffnet sich uns ein Bild aus
zusammengesetzten Kuben, das jedoch bei näherer Betrachtung Ähnlichkeiten zu
einem, in diesem Fall, Taucher oder gestreckt springenden Schwimmer aufweist.
Diese Technik, den Betrachter durch eine Vergrößerung eines Bildausschnitts zu irritieren und ihn sich bewusst werden zu
lassen, dass sich das Rätsel vor seinen Augen nicht auflösen wird, passt auch
zum Inhalt der Fotografien. So nutzt Berest die Gewässer mit den sich in ihnen
bewegenden Menschen als Neuauflage des Ikarus-Mythos. Die eintauchenden Figuren; die aus dem Wasser
aufblitzenden Gliedmaßen, wie nach einem Sturz; die eingefrorene Bewegung. All
dies verbindet Berest nach eigener Aussage mit der Ikarussaga.
Deganit Berest, Sea Level, 1990
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Deganit Berest, Sea Level, 1990
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Hinzu
kommen Assoziationen mit dem
Wasser und den Badenden wie Tiefe, Versinken, Untergehen, Kontrollverlust und
Tod.
Deganit Berest, Sea level, 1990.
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Doch
einfache Fotografien der Badenden hätten diese Assoziationen nur geringfügig
hervorgerufen. Erst durch die starke Vergrößerung und die groben Pixel
schleicht sich ein Gefühl des Mysteriösen, Unheimlichen und Nicht-Fassbaren
ein. Indem wir das Dargestellte nur ungenau erkennen und auch nur meinen, etwas
Figuratives zu erblicken, ohne es etwa genau zu wissen, gelingt es Berest, den
Fotografien einen rätselhaften und mythischen Charakter zu verleihen. Der Betrachter ist angehalten,
sich mit diesem Irrspiel auseinanderzusetzen und eine Entscheidung zu treffen,
was er zu sehen meint. Übrigens werden im Hinblick auf Berest „Wasser-Arbeiten“
auch gerne Sagen wie jene von
dem Ungeheuer von Loch Ness („Nessie“) herangezogen. In diesem Fall würde
nämlich erst die Vergrößerung und starke Verpixelung dazu führen, dass wir
glauben, auf der Fotografie ein Ungeheuer zu sehen. Die Technik von Berest
verfremdet auf diese Weise nicht nur etwas tatsächlich Existentes und
Gesehenes, sondern kann auch einen Gegenstand erschaffen, der sich realiter
nicht vor der Kamera befunden hat.
Einen
weiteren Teil der Serie der Badenden bilden einige leicht variierte Werke eines
Mannes mit Kapuze vor dem Gesicht.
Deganit Berest, MIII, ca. 1992
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Sie
alle beziehen sich auf eine stark vergrößerte Fotografie aus dem Jahre 1985, das in der New York Times erschien. In diesem
Jahr wurde ein internationaler Flug der Trans World Airlines durch die
„Organisation für die Unterdrückten der Welt“ durch zwei Männer libanesischer
Herkunft entführt, die sich mit Kapuzen maskiert hatten. Der Organisation, die
Verbindungen zur Hisbollah aufwies, ging es unter anderem um eine Anklage des
Staates Israel und seiner Kampfhandlungen im Libanon. Hinzu kamen Forderungen nach
der Freilassung aller Schiiten in israelischen Gefängnissen. Als Israeliten
betraf diese Flugzeugentführung
Deganit Berest und führte zu einer Auseinandersetzung mit der Thematik. Sie
vergrößerte einen der beiden Terroristen und nahm diese Fotografie als Grundlage zahlreicher malerischer
Werke. Eine, meiner Meinung nach, sehr interessante Variation, ist MII aus dem Jahre 1992.
Deganit Berest, MII, 1992, Acryl auf Leinwand, 171 x 171
cm, Tel Aviv Museum of Art.
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Auch
dieses Werk zeigt sich in großer Aufnahme mit groben Pixeln, die jedoch vor dem
Auge des Betrachters zu flimmern scheinen. Durch den Hintergrund, der sich
nicht zuordnen lässt und die Verzerrung der Fotografie entstehen Zweifel an
dem dargestellten Gegenstand. Es
könnte ein Mitglied des Ku-Klux-Klans sein, ein Henker,
eine Geisel oder gar ein Geist (Vor allem durch die waagerecht verlaufenden
Linien im Hintergrund wird die Identifikation als Geist begünstigt, weil es
scheint, wie die Aufnahme einer paranormalen Gestalt auf einer Videokamera).
Oder es handelt sich um eine Figur satanistischen Ursprungs, denn im oberen
Teil der Kapuze scheinen sich beinahe zwei Hörner zu formen, die an einen Teufel, aber auch an einen Stier denken lassen. Eine Identifikation der Figur
wird dem Betrachter versagt. Auch hier muss er sich selbst entscheiden, was er
sehen will und auf welche Weise er das Bild interpretieren will. Die Technik
der Vergrößerung und Verfremdung funktioniert hier also ähnlich wie bei den
Badenden. Doch ist die in MII dargestellte Gestalt tatsächlich bedrohlich und wird nicht erst durch die Machart des Bildes
zu einer Gefahr stilisiert.
Erinnert werden wir auch an Unkenntlichmachungen im Fernsehen und Internet, die ein Erkennen der
Person vermeiden sollen. Die Maskierung wird auf diese Art und Weise
verdoppelt. Verunsicherung entsteht zudem noch durch das gewählte Medium, denn wir haben tatsächlich ein gemaltes Bild
auf einer Leinwand vor uns, statt einer Fotografie, von der wir Verzerrungen
und Verpixelungen aber eher erwarten würden als von einem Gemälde.
Ein
Spiel und ein in die Irreführen der Erwartungshaltungen des Betrachters zeigt
sich uns in dieser Schau auf voller Linie und erzeugt widersprüchliche Gefühle
im Besucher, wenn er die Ausstellung „The Conspiracy of Nature Works“ durchschreitet. Das Verweigern jeder deutlichen
Aussage und einer Auflösung der einzelnen Bildinhalte lässt den Betrachter
allein und verunsichert zurück. Furcht und Irritation machen sich breit, steht
man in dem großen Raum des Joseph
und Rebecca Meyerhoff Pavillons und blickt an die weit oben angebrachte Serie
in gleichen quadratischen Formen.
Zum Glück verlässt den Besucher das Gefühl aber,
wenn er in die nächsten Räume weitergeht. Denn man sollte auf gar keinen Fall
die vielfältigen Werke der Kunst des 20. Jahrhunderts verpassen, unter
ihnen Monet, Rodin, Picasso, Calder, Pollock, Bacon u.v.m. Eine kleine
Galerie alter Meister befindet sich neben weiterer zeitgenössischer
israelischer Kunst im Untergeschoss und ist ebenfalls lohnenswert. Bei
angenehmem Wetter ist auch der Skulpturengarten eine Besichtigung
wert ebenso wie man auch die nebenstehenden Pavillons nicht auslassen sollte.
Liza
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