Donnerstag, 8. August 2013

Schlaglicht auf Tel Aviv - Deganit Berest – Bathers. Das Grauen der Pixel


Das Land Nordrhein-Westfalen hat viele interessante Museen und Ausstellungen in seiner Kulturlandschaft zu verorten. Trotzdem soll hier auch einmal aufmerksam gemacht werden auf ausländische Museen. Wer sich entweder in nächster Zeit oder aber auch in unbekannter Zukunft in Israel einfindet, sollte Tel Aviv, die westlich orientierte Stadt des Staates besuchen. Dort befindet sich das Tel Aviv Museum of Art, das im Zeitraum vom 18. Mai bis zum 28. September eine Auswahl israelischer zeitgenössischer Arbeiten zeigt. Unter ihnen sind Werke der Künstlerin Deganit Berest zu sehen unter dem Titel „Deganit Berest: The Conspiracy of Nature Works, 1973-2003. The 2012 Rappaport Prize for an Established Israeli Painter“.

Deganit Berest, Zeppelin, 1990, Pigmentdruck auf Archivpapier, 65 x 90 cm.

Deganit Berest (*1949) lebt und arbeitet in Tel Aviv und kann seit 1973 einige Einzelausstellungen in Israel und im Ausland verzeichnen. Seit etwa dieser Zeit hat Berest begonnen, sich mit dem Verhältnis zwischen Malerei und Fotografie auseinanderzusetzen, was sich in dieser Ausstellung, die Werke der letzten 30 Jahrzehnte im Leben Berests vorweisen kann, deutlich zeigt. Besonders beeindruckt hat mich dabei die Serie „Bathers“.



Deganit Berest vor einem Teil der Serie „Bathers“, 1990.

Der Name suggeriert, dass sich uns hier ausschließlich Menschen im oder am Wasser zeigen, tatsächlich sehen wir aber auch die verstörende Figur eines Menschen mit Maske und auch die Figuren der Badenden haben etwas Rätselhaftes und lösen ein Gefühl des Unbehagens im Betrachter aus.

Seit langer Zeit beschäftigt sich die Künstlerin mit Gewässern aller Art. Vor allem das Tote Meer und der See Genezareth haben Eingang in ihr Werk gefunden. Zu Beginn dieser Arbeiten reiste Berest durch Israel und fotografierte diese beiden Gewässer, zwei der „vier Meere Israels“. Da es sich meist um Schnappschüsse handelte, schlichen sich immer öfter Menschen in die Aufnahmen ein. Sie tauchen ins Wasser ein, aus ihm auf, sind in Bewegung oder schweben auf dem Salzteppich des Toten Meeres. Am Computer bearbeitete Berest die Fotografien soweit, dass sich nun nur noch ein kleiner Ausschnitt des Bildes aus großen Pixeln zusammensetzte. 



Deganit Berest, Untitled (Diver #2), 2008, Pigmentdruck auf Papier


Mit diesen Arbeiten bewegt sich die israelische Künstlerin an der Schwelle zwischen Abstraktion und figurativer Kunst. Denn auf den ersten Blick eröffnet sich uns ein Bild aus zusammengesetzten Kuben, das jedoch bei näherer Betrachtung Ähnlichkeiten zu einem, in diesem Fall, Taucher oder gestreckt springenden Schwimmer aufweist. Diese Technik, den Betrachter durch eine Vergrößerung eines Bildausschnitts zu irritieren und ihn sich bewusst werden zu lassen, dass sich das Rätsel vor seinen Augen nicht auflösen wird, passt auch zum Inhalt der Fotografien. So nutzt Berest die Gewässer mit den sich in ihnen bewegenden Menschen als Neuauflage des Ikarus-Mythos. Die eintauchenden Figuren; die aus dem Wasser aufblitzenden Gliedmaßen, wie nach einem Sturz; die eingefrorene Bewegung. All dies verbindet Berest nach eigener Aussage mit der Ikarussaga.




Deganit Berest, Sea Level, 1990

Deganit Berest, Sea Level, 1990

Hinzu kommen Assoziationen mit dem Wasser und den Badenden wie Tiefe, Versinken, Untergehen, Kontrollverlust und Tod. 



Deganit Berest, Sea level, 1990.


Doch einfache Fotografien der Badenden hätten diese Assoziationen nur geringfügig hervorgerufen. Erst durch die starke Vergrößerung und die groben Pixel schleicht sich ein Gefühl des Mysteriösen, Unheimlichen und Nicht-Fassbaren ein. Indem wir das Dargestellte nur ungenau erkennen und auch nur meinen, etwas Figuratives zu erblicken, ohne es etwa genau zu wissen, gelingt es Berest, den Fotografien einen rätselhaften und mythischen Charakter zu verleihen. Der Betrachter ist angehalten, sich mit diesem Irrspiel auseinanderzusetzen und eine Entscheidung zu treffen, was er zu sehen meint. Übrigens werden im Hinblick auf Berest „Wasser-Arbeiten“ auch gerne Sagen wie jene von dem Ungeheuer von Loch Ness („Nessie“) herangezogen. In diesem Fall würde nämlich erst die Vergrößerung und starke Verpixelung dazu führen, dass wir glauben, auf der Fotografie ein Ungeheuer zu sehen. Die Technik von Berest verfremdet auf diese Weise nicht nur etwas tatsächlich Existentes und Gesehenes, sondern kann auch einen Gegenstand erschaffen, der sich realiter nicht vor der Kamera befunden hat.
Einen weiteren Teil der Serie der Badenden bilden einige leicht variierte Werke eines Mannes mit Kapuze vor dem Gesicht.



Deganit Berest, MIII, ca. 1992

Sie alle beziehen sich auf eine stark vergrößerte Fotografie aus dem Jahre 1985, das in der New York Times erschien. In diesem Jahr wurde ein internationaler Flug der Trans World Airlines durch die „Organisation für die Unterdrückten der Welt“ durch zwei Männer libanesischer Herkunft entführt, die sich mit Kapuzen maskiert hatten. Der Organisation, die Verbindungen zur Hisbollah aufwies, ging es unter anderem um eine Anklage des Staates Israel und seiner Kampfhandlungen im Libanon. Hinzu kamen Forderungen nach der Freilassung aller Schiiten in israelischen Gefängnissen. Als Israeliten betraf diese Flugzeugentführung Deganit Berest und führte zu einer Auseinandersetzung mit der Thematik. Sie vergrößerte einen der beiden Terroristen und nahm diese Fotografie als Grundlage zahlreicher malerischer Werke. Eine, meiner Meinung nach, sehr interessante Variation, ist MII aus dem Jahre 1992.





Deganit Berest, MII, 1992, Acryl auf Leinwand, 171 x 171 cm, Tel Aviv Museum of Art.

Auch dieses Werk zeigt sich in großer Aufnahme mit groben Pixeln, die jedoch vor dem Auge des Betrachters zu flimmern scheinen. Durch den Hintergrund, der sich nicht zuordnen lässt und die Verzerrung der Fotografie entstehen Zweifel an dem dargestellten Gegenstand. Es könnte ein Mitglied des Ku-Klux-Klans sein, ein Henker, eine Geisel oder gar ein Geist (Vor allem durch die waagerecht verlaufenden Linien im Hintergrund wird die Identifikation als Geist begünstigt, weil es scheint, wie die Aufnahme einer paranormalen Gestalt auf einer Videokamera). Oder es handelt sich um eine Figur satanistischen Ursprungs, denn im oberen Teil der Kapuze scheinen sich beinahe zwei Hörner zu formen, die an einen Teufel, aber auch an einen Stier denken lassen. Eine Identifikation der Figur wird dem Betrachter versagt. Auch hier muss er sich selbst entscheiden, was er sehen will und auf welche Weise er das Bild interpretieren will. Die Technik der Vergrößerung und Verfremdung funktioniert hier also ähnlich wie bei den Badenden. Doch ist die in MII dargestellte Gestalt tatsächlich bedrohlich und wird nicht erst durch die Machart des Bildes zu einer Gefahr stilisiert. Erinnert werden wir auch an Unkenntlichmachungen im Fernsehen und Internet, die ein Erkennen der Person vermeiden sollen. Die Maskierung wird auf diese Art und Weise verdoppelt. Verunsicherung entsteht zudem noch durch das gewählte Medium, denn wir haben tatsächlich ein gemaltes Bild auf einer Leinwand vor uns, statt einer Fotografie, von der wir Verzerrungen und Verpixelungen aber eher erwarten würden als von einem Gemälde.

Ein Spiel und ein in die Irreführen der Erwartungshaltungen des Betrachters zeigt sich uns in dieser Schau auf voller Linie und erzeugt widersprüchliche Gefühle im Besucher, wenn er die Ausstellung „The Conspiracy of Nature Works“ durchschreitet. Das Verweigern jeder deutlichen Aussage und einer Auflösung der einzelnen Bildinhalte lässt den Betrachter allein und verunsichert zurück. Furcht und Irritation machen sich breit, steht man in dem großen Raum des Joseph und Rebecca Meyerhoff Pavillons und blickt an die weit oben angebrachte Serie in gleichen quadratischen Formen.
Zum Glück verlässt den Besucher das Gefühl aber, wenn er in die nächsten Räume weitergeht. Denn man sollte auf gar keinen Fall die vielfältigen Werke der Kunst des 20. Jahrhunderts verpassen, unter ihnen Monet, Rodin, Picasso, Calder, Pollock, Bacon u.v.m. Eine kleine Galerie alter Meister befindet sich neben weiterer zeitgenössischer israelischer Kunst im Untergeschoss und ist ebenfalls lohnenswert. Bei angenehmem Wetter ist auch der Skulpturengarten eine Besichtigung wert ebenso wie man auch die nebenstehenden Pavillons nicht auslassen sollte.

Liza

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