Willy Ronis 1997 im Alter von 87 Jahren. |
Noch
einen knappen Monat, bis zum 1. September, zeigt das Kunstmuseum Picasso
Münster eine umfangreiche
Retrospektive zu Willy Ronis.
Als erstes deutsches Museum zeigt es eine vielseitige Auswahl aus dem Oeuvre
von Ronis, das sich auf etwa 95.000 Fotografien beläuft und das neben der
Agentur Rapho der französische Staat besitzt. Dieser Umstand liefert auch den
Grund, warum Ronis bei uns in Deutschland weniger bekannt ist, denn er wird als
französischer Nationalkünstler
angesehen und geschätzt und deswegen nur ungern ins Ausland verliehen. Ein
Grund mehr, warum man sich die Ausstellung nicht entgehen lassen sollte.
Willy
Ronis wurde 1910 am „Fuße des Montmatre“, poetisch ausgedrückt, geboren. Sein
Vater besaß ein kleines Geschäft mit Fotografiebedarf und fotografierte auch
selbst die gehobene Bürgerschicht in starren, konservativen Familienporträts.
Etwas, was Ronis nie anstrebte. Er lernte bei einem Besuch der „Société franςaise
de photographie“ eine Fotografie
kennen, die eine Kunst war und etwas in ihm auslöste. Erst zu diesem Zeitpunkt
beschloss er, Fotograf zu werden. Und er schloss sich einer jungen Richtung an,
die sich der „humanistischen Fotografie“ verschrieben hatte. Wie der Name bereits vermuten lässt, geht es
hier um eine Kunst, die den Menschen und sein Innenleben, aber auch seinen
Alltag und seine soziale Wirklichkeit in den Fokus rückt. Zunächst geschah dies
bei Ronis durch Aufnahmen der Arbeiterproteste in Frankreich in den 1930er Jahren.
Willy
Ronis, Streik bei Citroën-Javel, 1938
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Zunehmend
beschäftigte er sich dann aber mit ganz alltäglichen Situationen im
menschlichen Leben, auf der Suche nach spontanen Gefühlsausdrücken. Nie wollte
er eine universelle Wahrheit finden oder eine ganz besondere Geschichte
darstellen. Immer sollten es, so Ronis selbst einmal, Geschehnisse mitten aus
dem Leben gegriffen, sein.
Willy
Ronis, Der kleine Pariser Junge, 1952.
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Die
Spontanität war ihm bei
solchen Aufnahmen besonders wichtig. Denn sie war einer der Kernpunkte, der die
humanistische Fotografie, oder, wie Sontag einmal sagte, die „anteilnehmende
Fotografie“ ausmachte. Dieser
Ansatz ist insofern sinnvoll, als das man ja auf der Suche nach den reinen
Emotionen des Menschen, ja nach dem Menschen selbst, war. Hätten die
Befürworter dieser Kunstrichtung nun mit Modellen gearbeitet oder gar ihren
Objekten auf der Straße geraten, wie sie sich positionieren sollten, dann
hätten sie nur die Maske des Menschen fotografieren können. Das typische „Foto-Gesicht“,
das jeder von sich selbst kennt, sobald eine Kamera in der Nähe ist. Wie
spontan die Aufnahmen dann tatsächlich waren, möchte ich nicht beurteilen. Es
sei nur so viel gesagt, dass, im Falle der beiden Pommes Frites-Verkäuferinnen,
eine gehörige Menge Posieren hinzukommt. Denn, wie bereits angedeutet, sobald
unser Auge eine Kamera erblickt, setzt unser Ich eine Maske auf. Und diesen
beiden abgelichteten Damen darf durchaus bewusst gewesen sein, dass sie
fotografiert werden.
Willy
Ronis, Pommes-Frites-Verkäuferinnen, Rue Rambuteau, 1946.
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Und
Ronis Dementi betreffend, er habe bei seinen Straßenfotografien nicht mit Modellen gearbeitet, möchte ich nur an
seinen Kollegen Robert Doisneau
und seine Fotografie „Baiser de l´Hôtel de Ville“ erinnern. Denn erst als dieser von dem
angeblichen Paar auf dem vermeintlichen Schnappschuss verklagt wurde, gab er
zu, einem Schauspielpaar ein Honorar für die Fotografie gezahlt zu haben. Mit
der Spontanität ist es also immer so eine Sache.
Robert Doisneau, Baiser de l´Hôtel de Ville,
1950.
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Ich
möchte nun noch eine Arbeit in den Vordergrund rücken, die mich angesprochen
hat und die ich versuchsweise unter dem Aspekt des “Zuschauers” oder des “Betrachters” kurz diskutieren möchte. Es handelt sich dabei
um den „Provenzalischen Akt“.
Willy
Ronis, Provenzalischer Akt, 1949.
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Diese
Fotografie hat Ronis im Jahre 1949
von seiner Frau Marie-Anne Lansiaux
angefertigt, in einem kleinen Landhaus in Gordes, das die beiden kurz vorher
gekauft hatten. Das Werk sollte in Frankreich bald zur Inkunabel des
französischen „Midi“ werden,
denn nicht wenige Parisiens träumten davon, in der Mittagszeit („Midi“) aus der
Großstadt hinaus aufs Land zu fliehen. An einen Ort ohne Lärm, stickige Luft
und Hitze. Und vor allem ohne alles Neumodische, das die Stadt Paris schon seit
einiger Zeit bestimmte. Das Bild von Marie-Anne vermittelt eben all das. Ihr
Boudoir ist spartanisch eingerichtet, es gibt weder Elektrizität noch
fließendes Wasser. Nur ein Bretterverschlag dient als Fensterverschluss und im
Freien zeigt sich viel Grün. Zudem wendet sich Marie-Anne, einer Venus
pudica gleich, ab vom Betrachter
und präsentiert ihm ihren Rücken. Zu dieser Fotografie gab Ronis uns eine
knappe Werkgenese. Er beschreibt darin, wie er an einem heißen Sommertag an
Marie-Annes Zimmer vorbei ging und bemerkte, dass seine Frau kurz vorher von
ihrer Mittagsruhe aufgewacht war und sich nun vor dem kleinen Spiegel über der
Wasserschale erfrischte. Diesen Moment hielt er mit der Kamera in vier
Aufnahmen fest.
Williy Ronis, Serie von Marie-Anne Lansiaux, 1949.
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Betrachtet
man diese Serie, fällt auf,
dass Marie-Anne während der Bilder 2 – 4 bemerkt hatte, dass ihr Mann sie
fotografiert. Sie schaut ins Freie, ihr Gesicht zeigt sich nun im Spiegel und
zuletzt dreht sie sich auch um. Doch Ronis hat für die Veröffentlichung die
erste Fotografie gewählt, in der seine Ehefrau noch nicht das Geräusch der
Kamera gehört hatte und sich unbefangen und natürlich zeigt. Möglicherweise war
eben dies ausschlaggebend, dass sie auf der ersten Aufnahme nicht posiert und
nichts an ihr gestellt wird. Denn genau das müsste Ronis als Vertreter einer
spontanen, sich auf der Suche nach dem menschlichen Ich befindenden,
Kunstrichtung gefallen haben. Doch ich meine, dass noch etwas anderes dahinter
steckt und das ist das Spiel zwischen Distanz und Nähe, das sich uns hier zeigt. Wir erblicken
Marie-Anne in einer sehr intimen Situation. Sie ist nicht nur gänzlich
unbekleidet und präsentiert sich uns ohne irgendeinen Teil mit ihren Händen
oder durch ihre Haltung zu verstecken. Zudem befindet sie sich in ihrem Boudoir
und erfrischt sich gerade nach einem Mittagsschlaf. Ein Moment wird demnach
dargestellt, in dem man gerne alleine wäre und sich nicht fotografiert wissen
möchte. Wir haben das Gefühl, gerade eine sehr intime Beziehung zu Marie-Anne aufzubauen. Aber abrupt wird der
Betrachter fortgestoßen. Obwohl er sich der Dargestellten in seiner voyeuristischen
Position besonders nahe fühlt, fehlt
etwas Entscheidendes. Es ist ihm nicht möglich, die Frau zu identifizieren,
denn sie zeigt ihm ihr Gesicht nicht. Sieht er sie auf offener Straße, würde er
sie nicht erkennen können. In diesem Bewusstsein wartet der Betrachter gespannt
vor der Fotografie, wartet darauf, dass sich wie durch Zauberhand doch noch das
Gesicht Marie-Annes im Spiegel zeigt. Sie müsste es nur ein wenig anheben.
Natürlich weiß jeder, dass dies nicht passieren wird und uns eine Identifikation der Dame versagt bleiben wird. Meiner Meinung
nach macht genau dieses Spiel zwischen Nähe und Distanz den Reiz des Bildes
aus. Wir werden veranlasst, zu warten, genau zu betrachten und uns
vorzustellen, wie die Dargestellte wohl aussehen mag. Trotzdem wissen wir, dass
wir das Rätsel hier nicht lösen können.
Willy
Ronis ist natürlich nicht der einzige Künstler, der den Rücken und seine
verführerischen Seiten darstellte. Das bekannteste Werk in der Fotografie ist
wohl Man Rays „Le Violon d´Ingres“.
Man Ray, Le Violon d´Ingres, 1924.
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Als
stummer Vergleich sei einmal “Deenas Rücken” von Willy Ronis gezeigt.
Willy
Ronis, Deenas Rücken, 1955.
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Beiden Fotografien kann man eine Verwandtschaft zu einem bekannten und sehr geschätzten französischen Künstler nachweisen. Man Ray verweist sogar im Titel seines Fotos auf ihn. Es handelt sich dabei um Jean-Auguste-Dominique Ingres und seine badenden Odalisken. Dass Ronis beispielsweise Ingres „Badende“ kannte, kann als sicher angesehen werden.
Jean-Auguste-Dominique
Ingres, Die Badende, 1808.
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Denn
er war zwar nie an einer Académie eingeschrieben, aber er hat oft beschrieben,
wie er den Akademieschülern in den Louvre gefolgt ist und beobachtet hat, vor welchen Werken sie sich mit
ihren Utensilien positionierten. Unbewusst hat er sich auf diese Weise den Kanon
der Académie des Beaux-Arts angeeignet und für die Rückenakte offensichtlich
ein besonderes Interesse gehegt. Auch dies mag ein Grund sein, warum er sich zu
diesen Fotografien entschieden hat. Meiner Meinung nach aber geht es doch
hauptsächlich um das Spiel mit Distanz und Nähe, das Ronis in seinen
Fotografien für uns aufbaute und uns emotional ansprach, den Detektiv in uns
weckte (um zu erforschen, um wen es sich handeln könnte) und uns immer wieder
davor verharren ließ.
Liza
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