Sonntag, 11. August 2013

Schlaglicht auf Otterlo, Kröller-Müller Museum: Jean Dubuffets "Jardin d´émail"


Ein weiteres Mal soll der Blick auf ein ausländisches Museum gelenkt werden. Nahe der Ortschaft Otterlo befindet sich das Kröller-Müller Museum, gegründet durch Helene Kröller-Müller, einer deutschen Kunstsammlerin. Es sind nur knappe zwei Autostunden, die den Kulturraum NRW und das niederländische Museum voneinander trennen. Zwei Stunden, die sich lohnen und die man auf sich nehmen sollte. Denn die Sammlung besticht vor allem durch ihre Vielfalt. Alte Meister zeigen sich ebenso wie zeitgenössische Kunst, doch ist der Moderne der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die größte Aufmerksamkeit zugekommen. Sisley, Picasso, Monet, van Gogh oder Ensor besetzen den Hauptanteil der Räumlichkeiten.

Pablo Picasso, Violon, 1911-12

Doch besonders gefallen hat mir der Skulpturengarten, der Skulpturen (im weitesten Sinne) zu bieten hat, die zwischen 1924 (Henry van de Velde, Andreas Rimkus) und 2010 (Gerrit Rietveld) entstanden sind.


 Unter ihnen befindet sich der „Jardin d´émail“ aus dem Jahr 1974 von Jean Dubuffet. 




Diese Skulptur/Landschaftsarchitektur ist wohl eine der meist besuchten in dem „Beeldentuin“ (Skulpturengarten), vermutlich aufgrund ihrer Möglichkeiten zur (Inter-)Aktion. Vorstellen muss man sich eine riesige Architektur in Weiß gehalten und mit schwarzen dicken Linien – ähnlich Konturlinien – versehen. Assoziationen mit Niki de Saint Phalles Nanas und Keith Harings Figuren schleichen sich unmittelbar ein. 

Niki de Saint Phalle, Nana in Hannover, 1974.

Keith Haring, Tuttomondo, 1989

Aber auch das Gefühl, vor einer Art Festung zu stehen, kommt auf. Die Tür zu finden, stellt bereits das erste Abenteuer der Besichtigung dar. Man kann mehrmals die Architektur umkreisen, ohne die kleine, sehr verstecke Tür zu finden. Sie führt den Glücklichen, der sie entdeckt hat durch einen dunklen schmalen Treppengang hinauf auf das Plateau des Jardin. Der Turm, der einem überdimensionalen Pilz oder einem Baum gleicht, stellt dabei die andere Seite der Tür dar. In seinem Inneren befindet sich der Treppengang. Auf dem Plateau angekommen, erstreckt sich vor den Augen des Betrachters eine unruhige Landschaft mit zahlreichen Erhebungen und Einsenkungen, die noch eine weitere Assoziation zulassen: nämlich die eines Freizeitschwimmparks. Die Einsenkungen wären dabei die mit Wasser gefüllten Schwimmbecken, die Erhebungen wären die Liegeplätze. Eine Szenerie, die vor allem Kinder jeden Alters einlädt, das Gebiet – meist rennend – zu erkunden. Alles an dieser Architektur verführt zum Entdecken, weckt den Abenteuergeist und evoziert das Gefühl von Spaß, Aufregung und Freude. An dieser Stelle wird sich vollkommen anders mit Kunst auseinander gesetzt. Es handelt sich nicht um einer ernste, stille und nachdenkliche Atmosphäre, wie sie so oft in Museumsräumen entsteht. Kunst soll hier Freude bereiten, soll den Körper fordern und uns befragen, welches Verhältnis wir zum Thema Kunst pflegen. Bewusst oder unbewusst beschäftigen wir uns mit der Frage, ob es sich hier eigentlich um Kunst handelt und was wir sehen und was das Gesehene mit uns macht. Auf dieser Art und Weise erreicht Dubuffet eine angenehme und eher unbewusste Auseinandersetzung mit dem Thema Kunst/Landschaftsarchitektur/Skulptur und erzeugt eine positive Haltung gegenüber der Arbeit. „Kunst kann Spaß machen“ scheint beinahe eine der zahlreichen Aussagen dieser Architektur zu sein und läd den Betrachter ein, seinem Auge immer wieder neue Ansichten zu bieten.

Wen diese Hommage an Dubuffet noch nicht überzeugt hat, sollte sich einmal genauer mit dem Landschaftspark, der das Museum umgibt, auseinandersetzen. 


Fahrräder können kostenfrei an den Stationen ausgeliehen werden und der Park ist auf diese Weise gut zu erkunden. Für einen Tagesausflug mit einem Anspruch auf Kultur und leichte sportliche Betätigung stellt das Kröller-Müller Museum genau den richtigen Ort dar.

Liza



"Der emanzipierte Zuschauer": Eine Begriffsdefinition nach Jacques Rancière

Jacques Rancière, 2006.


Da wir uns in unserem Blog immer wieder die Frage nach dem „Zuschauer“ und dem „Beobachter“ gestellt haben, ist es jetzt an der Zeit, einmal theoretisch die Frage des „Zuschauers“ zu beleuchten. Ich möchte daher einige Gedanken äußern, die Jacques Rancière und seine Zuschauertheorie betreffen. Besprechen werde ich das erste Kapitel im seinem gleichnamigen Buch „Le spectateur émancipé“, das in der Originalausgabe im Jahr 2008 erschienen ist. Rancière eröffnet hier die Fragestellung nach dem Zuschauer mit einem Gedanken, der das Denken der Emanzipation zusammenbringen soll mit dem Problem des „spectateur“. Er kann unterschiedlichen Arten des theatralischen Schauspiels beiwohnen: Tanz, Performance, dramatische Handlung, Pantomime und anderen Darstellungen, bei denen sich ein Körper vor ein versammeltes Publikum bringt.

Sobald ein derartiges theatralisches Spektakel begann, gab es in seiner Geschichte zahlreiche Kritiken, die auf eine einfache Formel reduziert werden können, die Rancière das „Paradox des Zuschauers“ nennt. Dies fasst er wie folgt zusammen:
1. Ohne Zuschauer gibt es kein Theater. Das ist eine Voraussetzung
2. Der Zuschauer ist in diesem Zusammenhang ein absolut passives Wesen. Er steht einer Erscheinung gegenüber, deren Wirklichkeit und Herstellungsvorgang er nicht kennt. Er ist getrennt von der Fähigkeit der Erkenntnis und der Fähigkeit des Handelns.

Daraus haben sich zwei mögliche Schlussfolgerungen entwickelt:
1. Die Theorie, die bereits Platon aufgestellt hatte: Das Theater ist schlecht. Es bringt seine Zuschauer dazu, ihren Willen zu Erkenntnis und zum Handeln aufzugeben, zugunsten eines passiven Blicks auf leidende Menschen. Der Betrachter löst sich von sich selbst, er ist nur noch Sehender, der sich der Illusion hingibt.
2. Die Theorie der Kritiker der theatralischen Mimesis: Nicht das Theater selbst ist schlecht, sondern seine direkte Verbindung zum Zuschauer ist es. Zuschauer sein ist ein Übel und man muss das Theater von diesem Übel befreien. Es brauchte also ein Theater ohne passiven Zuschauer, ihre Körper sollten mobilisiert werden. „Man braucht ein Theater ohne Zuschauer, wo die Anwesenden lernen, anstatt von Bildern verführt zu werden, wo sie aktive Teilnehmende werden, anstatt passive Voyeurs zu sein.“

Aus der Theorie der Kritiker der theatralischen Mimesis haben sich wiederum zwei Lösungsansätze entwickelt, die unterschiedlicher nicht sein könnten und trotzdem immer wieder gerne vermengt werden:
1. Der Zuschauer als Detektiv. Man zeigt ihm ein ungewöhnliches, rätselhaftes Schauspiel, das der Zuschauer selbst entschlüsseln muss. Durch die Suche nach einem Sinn hinter dem Gesehenen und dem Grund für das Ungewöhnliche wird er sich von der Identifikation mit den Figuren lösen und seine Stumpfsinnigkeit und Passivität überwinden.
2. Der Zuschauer als distanzloser Handelnder. Die Distanz, die im ersten Lösungsansatz zwingend notwendig ist, muss hier abgelegt werden. Der Zuschauer soll nicht Beobachtender sein, sondern sich einer beispielhaften Situation gegenüber sehen, die ihn zum Handeln veranlasst und ihm hilft, sich weiterzuentwickeln im Treffen von Entscheidungen und Bewerten von Situationen.

Auch wenn diese beiden Lösungsansätze sich vollkommen entgegen zu stehen scheinen, so besitzen sie doch eine gemeinsame Prämisse, der sie folgen. Dabei handelt es sich um die Vorstellung, dass das Theater die lebendige Gemeinschaft verkörpert. Es ist eine Versammlung, in der die Menschen ihre Situation begreifen, ihre Interessen diskutieren und ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. So lernt sich das Publikum auch selbst als Kollektiv kennen. Doch bleibt der Zuschauer in seiner passiven Rolle verhaftet, zeigt dies das Scheitern des Theaters und wofür es steht. Um dem entgegenzuwirken, die Zuschauer zu einer passiven Gemeinschaft zu machen und nicht mehr als Erkenntnis produzierendes Spektakel zu agieren, soll der Zuschauer die Mittel und Wege erlernen, sich aus dieser Lage zu befreien.
Die Krux dieser Situation wird deutlich, wenn man sich mit Rancière beschäftigt. Das Theater ist hier nämlich gleichzeitig Verursacher und Befreier der Situation des Zuschauers. Es möchte ihn aus der Passivität befreien, in die es ihn gedrängt hat und das wiederum will es durch das Spektakel selbst erreichen. Besonders deutlich macht dies Rancières Satz: „Im einen wie im anderen Fall stellt sich das Theater als eine Vermittlung dar, die auf ihre eigene Aufhebung ausgerichtet ist.“
Und eben dieser Sachverhalt ist es, der nach Rancière die Verbindung zur intellektuellen Emanzipation ermöglicht. Als Beispiel führt er die Schule an mit ihrem Verhältnis von Lehrer und Schüler. Der Lehrer versucht, den Schüler aus der Unwissenheit zu befreien, indem er mit ihm sein Wissen teilt. Wenn der Vorgang abgeschlossen ist, sollten idealerweise (und heute auch utopischerweise) beide das gleiche Wissen besitzen und somit hätte sich die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler aufgehoben, beziehungsweise transformiert in eine Beziehung Gleichgestellter. Doch dies wird dem Schüler nie gelingen. Indem der Lehrer dem Schüler sein Wissen vermittelt, erschafft er jedes Mal erneut einen Abstand zwischen seinem Wissen und der Unwissenheit des Schülers. Denn erst durch den Lehrer wird dem Schüler seine eigene Unwissenheit bewusst, die sonst für ihn selbst nicht existent wäre. Und die Unwissenheit gilt in diesem Falle nicht als „weniger Wissen“ sondern wird zum „nicht Wissen“ degradiert. Eine Hierarchie des Wissens und der Wissenden kann sich auf diese Weise also etablieren. Auch Jacotot hat dieses System erkannt (von ihm „Verdummung“ genannt) und ihm die „intellektuelle Emanzipation“ entgegengesetzt. Demnach gibt es keine zwei ungleichen Intelligenzen (Wissen vs. Nicht-Wissen), sondern nur eine Gleichheit der Intelligenz. Der Mensch wird lernen, was er sieht, er wird verstehen, was ihn umgibt und was ihm geschieht. Und dabei geht es nicht um die Distanz zwischen zwei Intelligenzen, die abgeschafft werden soll (durch das Lernen vom Wissenden), sondern es handelt sich um Kommunikation. Denn wenn wir alle das Gleiche wissen würden, wäre eine Kommunikation überflüssig. Um diesen Zustand zu erreichen, muss der Lehrer, so Jacotot, seine Position als Wissender aufgeben. Er selbst darf nicht mehr meinen, die Distanz zwischen seinem Wissen und dem seines Schülers verringern zu müssen. Er soll seinen Schüler vielmehr anleiten, selbst zu lernen, zu sehen und zu verstehen. Nur so wird die Hierarchie des Wissens und der Wissenden durchbrochen und erlaubt eine intellektuelle Emanzipation.

Die Verbindung zwischen intellektueller Emanzipation und der Frage nach dem Zuschauer:
Ebenso wie Jacotots System der „Verdummung“ funktionierte auch der Versuch des Theaters, die Zuschauer aus ihrer passiven Rolle zu befreien. Die Theatertheorie unterlag bei der Annahme, „nur“ Sehen sei stumpfsinnig und nicht erkenntnisorientiert, ebenso einem Irrtum wie der Lehrer, der meinte, sein Schüler wisse „nichts“. Denn auch im Theater wird die Distanz zwischen Zuschauer und Handelndem, passiv und aktiv, sehen und erkennen/verstehen, die es aufheben will, erst vom Theater selbst erschaffen. Wer legt fest, dass das Sehen nur passiv funktioniert und nicht etwa ein aktiver Vorgang wie der der Erkenntnis ist? Und wer konstituiert, welche der beiden Zuschauerhaltungen nun die „Gute“ und die „Schlechte“ ist? Und warum kann Sehen nicht auch Erkenntnis sein? All das sind Kategorien, die erschaffen wurden und in Stein gemeißelt erscheinen, aber anstatt die Distanz abzuschaffen, schaffen sie sie erst. Entwickelt man Rancières Gedanken weiter, so müsste die intellektuelle Emanzipation auf der Ebene des Theaters wie folgt funktionieren: Das Theater und seine Theoretiker lassen ab von der Vorstellung, es gäbe „Sehen“ (Passiv) und „Erkennen/Handeln“ (Aktiv) als zwei unterschiedliche Kategorien wie „Nicht-Wissen“ und „Wissen“. Stattdessen erkennen sie die Gleichwertigkeit jener Zuschauerarten an und verstehen, dass die Distanz zwischen diesen beiden Vorgehensweisen allein von ihnen erschaffen und aufrecht erhalten wurde. Ähnlich wie der Lehrer sollte das Theater die Aufgabe übernehmen, dem Zuschauer beim Lernen zu helfen und ihn anzuleiten, aber ihn sich das Wissen/den Sinn des Gezeigten selbst aneignen lassen und seine Interpretation frei stehen zu lassen. Tatsächlich geht Rancière in seinem Text diesen Weg und beschreitet ihn noch weiter, indem er verdeutlicht, dass der Regisseur oder der Lehrer dem Schüler etwas Bestimmtes zeigen oder lehren um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Beide vergessen hier aber, so der Autor, dass das System von Ursache und Wirkung auf dieser Ebene nicht so vereinfacht funktioniert. Denn immer wird der Schüler oder Zuschauer das Gelehrte und Gezeigte abgleichen mit eigenen Erfahrungen und daraus möglicherweise eine andere Wirkung erhalten, als vom Regisseur oder Lehrer beabsichtigt.
Rancière untersucht auf den folgenden Seiten ebenfalls noch das Verhältnis von Zuschauer, Theater und Gemeinschaft. Da es mir aber hauptsächlich um eine Definition und Verdeutlichung des Zuschauerbegriffs Rancières an dieser Stelle geht, möchte ich auf diese weitergehende Fragestellung nicht näher eingehen. Es war mir wichtig, einmal diesen für uns (Lara und Liza) so wichtigen Begriff zu erläutern und ein Konzept vorzustellen, das ein französischer Philosoph durchaus gut durchdacht hat und mir in vielerlei Hinsicht schlüssig erscheint. Ich möchte damit nicht die Meinung Rancières vertreten, aber ich muss sagen, dass sich einem seine Theorie deutlich und klar erschließt und wunderbar ineinander greift.


Liza

Willy Ronis – Eine Ästhetik des Rückens

Willy Ronis 1997 im Alter von 87 Jahren.    


Noch einen knappen Monat, bis zum 1. September, zeigt das Kunstmuseum Picasso Münster eine umfangreiche Retrospektive zu Willy Ronis. Als erstes deutsches Museum zeigt es eine vielseitige Auswahl aus dem Oeuvre von Ronis, das sich auf etwa 95.000 Fotografien beläuft und das neben der Agentur Rapho der französische Staat besitzt. Dieser Umstand liefert auch den Grund, warum Ronis bei uns in Deutschland weniger bekannt ist, denn er wird als französischer Nationalkünstler angesehen und geschätzt und deswegen nur ungern ins Ausland verliehen. Ein Grund mehr, warum man sich die Ausstellung nicht entgehen lassen sollte.
Willy Ronis wurde 1910 am „Fuße des Montmatre“, poetisch ausgedrückt, geboren. Sein Vater besaß ein kleines Geschäft mit Fotografiebedarf und fotografierte auch selbst die gehobene Bürgerschicht in starren, konservativen Familienporträts. Etwas, was Ronis nie anstrebte. Er lernte bei einem Besuch der „Société franςaise de photographie“ eine Fotografie kennen, die eine Kunst war und etwas in ihm auslöste. Erst zu diesem Zeitpunkt beschloss er, Fotograf zu werden. Und er schloss sich einer jungen Richtung an, die sich der „humanistischen Fotografie“ verschrieben hatte. Wie der Name bereits vermuten lässt, geht es hier um eine Kunst, die den Menschen und sein Innenleben, aber auch seinen Alltag und seine soziale Wirklichkeit in den Fokus rückt. Zunächst geschah dies bei Ronis durch Aufnahmen der Arbeiterproteste in Frankreich in den 1930er Jahren.


Willy Ronis, Streik bei Citroën-Javel, 1938



Zunehmend beschäftigte er sich dann aber mit ganz alltäglichen Situationen im menschlichen Leben, auf der Suche nach spontanen Gefühlsausdrücken. Nie wollte er eine universelle Wahrheit finden oder eine ganz besondere Geschichte darstellen. Immer sollten es, so Ronis selbst einmal, Geschehnisse mitten aus dem Leben gegriffen, sein.



Willy Ronis, Der kleine Pariser Junge, 1952.

Die Spontanität war ihm bei solchen Aufnahmen besonders wichtig. Denn sie war einer der Kernpunkte, der die humanistische Fotografie, oder, wie Sontag einmal sagte, die „anteilnehmende Fotografie“ ausmachte. Dieser Ansatz ist insofern sinnvoll, als das man ja auf der Suche nach den reinen Emotionen des Menschen, ja nach dem Menschen selbst, war. Hätten die Befürworter dieser Kunstrichtung nun mit Modellen gearbeitet oder gar ihren Objekten auf der Straße geraten, wie sie sich positionieren sollten, dann hätten sie nur die Maske des Menschen fotografieren können. Das typische „Foto-Gesicht“, das jeder von sich selbst kennt, sobald eine Kamera in der Nähe ist. Wie spontan die Aufnahmen dann tatsächlich waren, möchte ich nicht beurteilen. Es sei nur so viel gesagt, dass, im Falle der beiden Pommes Frites-Verkäuferinnen, eine gehörige Menge Posieren hinzukommt. Denn, wie bereits angedeutet, sobald unser Auge eine Kamera erblickt, setzt unser Ich eine Maske auf. Und diesen beiden abgelichteten Damen darf durchaus bewusst gewesen sein, dass sie fotografiert werden.


Willy Ronis, Pommes-Frites-Verkäuferinnen, Rue Rambuteau, 1946.

Und Ronis Dementi betreffend, er habe bei seinen Straßenfotografien nicht mit Modellen gearbeitet, möchte ich nur an seinen Kollegen Robert Doisneau und seine Fotografie „Baiser de l´Hôtel de Ville“ erinnern. Denn erst als dieser von dem angeblichen Paar auf dem vermeintlichen Schnappschuss verklagt wurde, gab er zu, einem Schauspielpaar ein Honorar für die Fotografie gezahlt zu haben. Mit der Spontanität ist es also immer so eine Sache.


Robert Doisneau, Baiser de l´Hôtel de Ville, 1950.

Ich möchte nun noch eine Arbeit in den Vordergrund rücken, die mich angesprochen hat und die ich versuchsweise unter dem Aspekt des “Zuschauers” oder des “Betrachters” kurz diskutieren möchte. Es handelt sich dabei um den „Provenzalischen Akt“


Willy Ronis, Provenzalischer Akt, 1949.

Diese Fotografie hat Ronis im Jahre 1949 von seiner Frau Marie-Anne Lansiaux angefertigt, in einem kleinen Landhaus in Gordes, das die beiden kurz vorher gekauft hatten. Das Werk sollte in Frankreich bald zur Inkunabel des französischen „Midi“ werden, denn nicht wenige Parisiens träumten davon, in der Mittagszeit („Midi“) aus der Großstadt hinaus aufs Land zu fliehen. An einen Ort ohne Lärm, stickige Luft und Hitze. Und vor allem ohne alles Neumodische, das die Stadt Paris schon seit einiger Zeit bestimmte. Das Bild von Marie-Anne vermittelt eben all das. Ihr Boudoir ist spartanisch eingerichtet, es gibt weder Elektrizität noch fließendes Wasser. Nur ein Bretterverschlag dient als Fensterverschluss und im Freien zeigt sich viel Grün. Zudem wendet sich Marie-Anne, einer Venus pudica gleich, ab vom Betrachter und präsentiert ihm ihren Rücken. Zu dieser Fotografie gab Ronis uns eine knappe Werkgenese. Er beschreibt darin, wie er an einem heißen Sommertag an Marie-Annes Zimmer vorbei ging und bemerkte, dass seine Frau kurz vorher von ihrer Mittagsruhe aufgewacht war und sich nun vor dem kleinen Spiegel über der Wasserschale erfrischte. Diesen Moment hielt er mit der Kamera in vier Aufnahmen fest. 


Williy Ronis, Serie von Marie-Anne Lansiaux, 1949. 

Betrachtet man diese Serie, fällt auf, dass Marie-Anne während der Bilder 2 – 4 bemerkt hatte, dass ihr Mann sie fotografiert. Sie schaut ins Freie, ihr Gesicht zeigt sich nun im Spiegel und zuletzt dreht sie sich auch um. Doch Ronis hat für die Veröffentlichung die erste Fotografie gewählt, in der seine Ehefrau noch nicht das Geräusch der Kamera gehört hatte und sich unbefangen und natürlich zeigt. Möglicherweise war eben dies ausschlaggebend, dass sie auf der ersten Aufnahme nicht posiert und nichts an ihr gestellt wird. Denn genau das müsste Ronis als Vertreter einer spontanen, sich auf der Suche nach dem menschlichen Ich befindenden, Kunstrichtung gefallen haben. Doch ich meine, dass noch etwas anderes dahinter steckt und das ist das Spiel zwischen Distanz und Nähe, das sich uns hier zeigt. Wir erblicken Marie-Anne in einer sehr intimen Situation. Sie ist nicht nur gänzlich unbekleidet und präsentiert sich uns ohne irgendeinen Teil mit ihren Händen oder durch ihre Haltung zu verstecken. Zudem befindet sie sich in ihrem Boudoir und erfrischt sich gerade nach einem Mittagsschlaf. Ein Moment wird demnach dargestellt, in dem man gerne alleine wäre und sich nicht fotografiert wissen möchte. Wir haben das Gefühl, gerade eine sehr intime Beziehung zu Marie-Anne aufzubauen. Aber abrupt wird der Betrachter fortgestoßen. Obwohl er sich der Dargestellten in seiner voyeuristischen Position besonders nahe fühlt, fehlt etwas Entscheidendes. Es ist ihm nicht möglich, die Frau zu identifizieren, denn sie zeigt ihm ihr Gesicht nicht. Sieht er sie auf offener Straße, würde er sie nicht erkennen können. In diesem Bewusstsein wartet der Betrachter gespannt vor der Fotografie, wartet darauf, dass sich wie durch Zauberhand doch noch das Gesicht Marie-Annes im Spiegel zeigt. Sie müsste es nur ein wenig anheben. Natürlich weiß jeder, dass dies nicht passieren wird und uns eine Identifikation der Dame versagt bleiben wird. Meiner Meinung nach macht genau dieses Spiel zwischen Nähe und Distanz den Reiz des Bildes aus. Wir werden veranlasst, zu warten, genau zu betrachten und uns vorzustellen, wie die Dargestellte wohl aussehen mag. Trotzdem wissen wir, dass wir das Rätsel hier nicht lösen können.
Willy Ronis ist natürlich nicht der einzige Künstler, der den Rücken und seine verführerischen Seiten darstellte. Das bekannteste Werk in der Fotografie ist wohl Man Rays „Le Violon d´Ingres“.


Man Ray, Le Violon d´Ingres, 1924.

Als stummer Vergleich sei einmal “Deenas Rücken” von Willy Ronis gezeigt.


Willy Ronis, Deenas Rücken, 1955.

Beiden Fotografien kann man eine Verwandtschaft zu einem bekannten und sehr geschätzten französischen Künstler nachweisen. Man Ray verweist sogar im Titel seines Fotos auf ihn. Es handelt sich dabei um Jean-Auguste-Dominique Ingres und seine badenden Odalisken. Dass Ronis beispielsweise Ingres „Badende“ kannte, kann als sicher angesehen werden.


Jean-Auguste-Dominique Ingres, Die Badende, 1808.

Denn er war zwar nie an einer Académie eingeschrieben, aber er hat oft beschrieben, wie er den Akademieschülern in den Louvre gefolgt ist und beobachtet hat, vor welchen Werken sie sich mit ihren Utensilien positionierten. Unbewusst hat er sich auf diese Weise den Kanon der Académie des Beaux-Arts angeeignet und für die Rückenakte offensichtlich ein besonderes Interesse gehegt. Auch dies mag ein Grund sein, warum er sich zu diesen Fotografien entschieden hat. Meiner Meinung nach aber geht es doch hauptsächlich um das Spiel mit Distanz und Nähe, das Ronis in seinen Fotografien für uns aufbaute und uns emotional ansprach, den Detektiv in uns weckte (um zu erforschen, um wen es sich handeln könnte) und uns immer wieder davor verharren ließ.

Liza








Samstag, 10. August 2013

Blicke, Macht, Kultur – Pomian schreibt über den Ursprung des Sammelns

Johann Zoffany: Die Tribuna der Uffizien, Öl auf Leinwand, 123,5 cm x 155,0 cm, Uffizien, Florenz.


Was und warum sammeln wir? Diese Frage stellt sich Krzysztof Pomian in seinem Buch „Der Ursprung des Museums – Vom Sammeln“. Seine offene Fragestellung bietet ihm die Möglichkeit über mehr als Kunstsammlungen zu sprechen und öffnet den Diskurs einem nominalistischen Ansatz.

Wenn wir ein Artefakt dem ökonomischen Kreislauf entziehen, verliert es seine Nützlichkeit und erweitert seinen Wert vom reinen Tausch- und Gebrauchswert um seine individuelle Bedeutung. Jene Bedeutung ist keine Konstante, sondern eine fließende und zeitliche Eigenschaft, die von sozialen und gesellschaftlichen Fakten beeinflusst ist. Erst die Kultur stellt diese Sammelobjekte, die Pomian Semiphoren nennt her. Semiphoren sind Objekte ohne Nützlichkeit, die mit Bedeutung belegt sind.

Diesen Sammelobjekten wohnt eine Kraft inne, die Menschen dazu bewegt, sich um sie herum zu versammeln und beispielsweise gestische Aktivitäten zu vollziehen. Pomian bringt dazu zahlreiche Beispiele, wie Objekte, die in Kirchen, Tempel, oder Museen angesiedelt sind. Man stelle sich den Ablauf einer christlichen Messe, oder einen Gang durch ein Museum vor. Es lässt sich hier eine Verbindung zur Akteur-Netzwerk-Theorie von Bruno Latour aufzeigen, da auch er den Dingen/Aktanten eine Handlungsmacht zuspricht.

Die Rolle des Blickes in Bezug auf Semiphoren ist ebenfalls ein interessanter Ansatz von Pomian. Bedenkt man Grabbeigaben und Schatzkammern, die nur für den Fürsten zugänglich sind, wird die Exklusivität des Blickes auf diese Objekte deutlich. Es kann ein Objekt nicht nur für einen menschlichen Blick bestimmt sein, sondern auch für andere Existenzen, wie beispielsweise Götter und Heilige.

Wir sammeln und stellen diese Objekte nicht bloß für unsere Augenlust aus. Es geht auch um Machtverhältnisse. Der Herrscher sammelt seltene Objekte in seiner Schatzkammer, um seine Macht zu demonstrieren und Statusbildung zu fördern. Es überträgt sich die Bedeutung, die von den Semiphoren ausgeht, auch auf deren Besitzer. Sie ziehen den Blick auf sich und stellen Macht aus.

Was früher die Schatzkammern der Kirche und der Fürsten war, ist heute das Museum. Die Öffnung und Zugänglichkeit von Sammelobjekten hat einen entscheidenden Wandel erfahren, indem die Privatsammlungen zur Schatzkammer des Volkes konvertiert wurden. Die Huldigung der Kunst hat sich zum neuen Kult des Volkes transformiert. Sammlungen von Semiphoren dienen der Selbstbeschreibung der Nation. Sie sind zukunftsgerichtet und gleichzeitig zur Vergangenheit gewandt. Eine Kultur konstruiert sich selbst und baut ihre Definition aus, indem sie ihre Macht demonstriert spezifische Sammlungen zu erstellen.

Pominas Buch ist definitiv einen Blick wert, da es unsere Rolle als Betrachter, Gesellschaft und auch als Kunsthistoriker untersucht. Er nutzt zahlreiche Beispiele und schreibt sehr unterhaltsam. So angenehm können also auch theoretische Ansätze vermittelt werden.

Lara

Donnerstag, 8. August 2013

Schlaglicht auf Tel Aviv - Deganit Berest – Bathers. Das Grauen der Pixel


Das Land Nordrhein-Westfalen hat viele interessante Museen und Ausstellungen in seiner Kulturlandschaft zu verorten. Trotzdem soll hier auch einmal aufmerksam gemacht werden auf ausländische Museen. Wer sich entweder in nächster Zeit oder aber auch in unbekannter Zukunft in Israel einfindet, sollte Tel Aviv, die westlich orientierte Stadt des Staates besuchen. Dort befindet sich das Tel Aviv Museum of Art, das im Zeitraum vom 18. Mai bis zum 28. September eine Auswahl israelischer zeitgenössischer Arbeiten zeigt. Unter ihnen sind Werke der Künstlerin Deganit Berest zu sehen unter dem Titel „Deganit Berest: The Conspiracy of Nature Works, 1973-2003. The 2012 Rappaport Prize for an Established Israeli Painter“.

Deganit Berest, Zeppelin, 1990, Pigmentdruck auf Archivpapier, 65 x 90 cm.

Deganit Berest (*1949) lebt und arbeitet in Tel Aviv und kann seit 1973 einige Einzelausstellungen in Israel und im Ausland verzeichnen. Seit etwa dieser Zeit hat Berest begonnen, sich mit dem Verhältnis zwischen Malerei und Fotografie auseinanderzusetzen, was sich in dieser Ausstellung, die Werke der letzten 30 Jahrzehnte im Leben Berests vorweisen kann, deutlich zeigt. Besonders beeindruckt hat mich dabei die Serie „Bathers“.



Deganit Berest vor einem Teil der Serie „Bathers“, 1990.

Der Name suggeriert, dass sich uns hier ausschließlich Menschen im oder am Wasser zeigen, tatsächlich sehen wir aber auch die verstörende Figur eines Menschen mit Maske und auch die Figuren der Badenden haben etwas Rätselhaftes und lösen ein Gefühl des Unbehagens im Betrachter aus.

Seit langer Zeit beschäftigt sich die Künstlerin mit Gewässern aller Art. Vor allem das Tote Meer und der See Genezareth haben Eingang in ihr Werk gefunden. Zu Beginn dieser Arbeiten reiste Berest durch Israel und fotografierte diese beiden Gewässer, zwei der „vier Meere Israels“. Da es sich meist um Schnappschüsse handelte, schlichen sich immer öfter Menschen in die Aufnahmen ein. Sie tauchen ins Wasser ein, aus ihm auf, sind in Bewegung oder schweben auf dem Salzteppich des Toten Meeres. Am Computer bearbeitete Berest die Fotografien soweit, dass sich nun nur noch ein kleiner Ausschnitt des Bildes aus großen Pixeln zusammensetzte. 



Deganit Berest, Untitled (Diver #2), 2008, Pigmentdruck auf Papier


Mit diesen Arbeiten bewegt sich die israelische Künstlerin an der Schwelle zwischen Abstraktion und figurativer Kunst. Denn auf den ersten Blick eröffnet sich uns ein Bild aus zusammengesetzten Kuben, das jedoch bei näherer Betrachtung Ähnlichkeiten zu einem, in diesem Fall, Taucher oder gestreckt springenden Schwimmer aufweist. Diese Technik, den Betrachter durch eine Vergrößerung eines Bildausschnitts zu irritieren und ihn sich bewusst werden zu lassen, dass sich das Rätsel vor seinen Augen nicht auflösen wird, passt auch zum Inhalt der Fotografien. So nutzt Berest die Gewässer mit den sich in ihnen bewegenden Menschen als Neuauflage des Ikarus-Mythos. Die eintauchenden Figuren; die aus dem Wasser aufblitzenden Gliedmaßen, wie nach einem Sturz; die eingefrorene Bewegung. All dies verbindet Berest nach eigener Aussage mit der Ikarussaga.




Deganit Berest, Sea Level, 1990

Deganit Berest, Sea Level, 1990

Hinzu kommen Assoziationen mit dem Wasser und den Badenden wie Tiefe, Versinken, Untergehen, Kontrollverlust und Tod. 



Deganit Berest, Sea level, 1990.


Doch einfache Fotografien der Badenden hätten diese Assoziationen nur geringfügig hervorgerufen. Erst durch die starke Vergrößerung und die groben Pixel schleicht sich ein Gefühl des Mysteriösen, Unheimlichen und Nicht-Fassbaren ein. Indem wir das Dargestellte nur ungenau erkennen und auch nur meinen, etwas Figuratives zu erblicken, ohne es etwa genau zu wissen, gelingt es Berest, den Fotografien einen rätselhaften und mythischen Charakter zu verleihen. Der Betrachter ist angehalten, sich mit diesem Irrspiel auseinanderzusetzen und eine Entscheidung zu treffen, was er zu sehen meint. Übrigens werden im Hinblick auf Berest „Wasser-Arbeiten“ auch gerne Sagen wie jene von dem Ungeheuer von Loch Ness („Nessie“) herangezogen. In diesem Fall würde nämlich erst die Vergrößerung und starke Verpixelung dazu führen, dass wir glauben, auf der Fotografie ein Ungeheuer zu sehen. Die Technik von Berest verfremdet auf diese Weise nicht nur etwas tatsächlich Existentes und Gesehenes, sondern kann auch einen Gegenstand erschaffen, der sich realiter nicht vor der Kamera befunden hat.
Einen weiteren Teil der Serie der Badenden bilden einige leicht variierte Werke eines Mannes mit Kapuze vor dem Gesicht.



Deganit Berest, MIII, ca. 1992

Sie alle beziehen sich auf eine stark vergrößerte Fotografie aus dem Jahre 1985, das in der New York Times erschien. In diesem Jahr wurde ein internationaler Flug der Trans World Airlines durch die „Organisation für die Unterdrückten der Welt“ durch zwei Männer libanesischer Herkunft entführt, die sich mit Kapuzen maskiert hatten. Der Organisation, die Verbindungen zur Hisbollah aufwies, ging es unter anderem um eine Anklage des Staates Israel und seiner Kampfhandlungen im Libanon. Hinzu kamen Forderungen nach der Freilassung aller Schiiten in israelischen Gefängnissen. Als Israeliten betraf diese Flugzeugentführung Deganit Berest und führte zu einer Auseinandersetzung mit der Thematik. Sie vergrößerte einen der beiden Terroristen und nahm diese Fotografie als Grundlage zahlreicher malerischer Werke. Eine, meiner Meinung nach, sehr interessante Variation, ist MII aus dem Jahre 1992.





Deganit Berest, MII, 1992, Acryl auf Leinwand, 171 x 171 cm, Tel Aviv Museum of Art.

Auch dieses Werk zeigt sich in großer Aufnahme mit groben Pixeln, die jedoch vor dem Auge des Betrachters zu flimmern scheinen. Durch den Hintergrund, der sich nicht zuordnen lässt und die Verzerrung der Fotografie entstehen Zweifel an dem dargestellten Gegenstand. Es könnte ein Mitglied des Ku-Klux-Klans sein, ein Henker, eine Geisel oder gar ein Geist (Vor allem durch die waagerecht verlaufenden Linien im Hintergrund wird die Identifikation als Geist begünstigt, weil es scheint, wie die Aufnahme einer paranormalen Gestalt auf einer Videokamera). Oder es handelt sich um eine Figur satanistischen Ursprungs, denn im oberen Teil der Kapuze scheinen sich beinahe zwei Hörner zu formen, die an einen Teufel, aber auch an einen Stier denken lassen. Eine Identifikation der Figur wird dem Betrachter versagt. Auch hier muss er sich selbst entscheiden, was er sehen will und auf welche Weise er das Bild interpretieren will. Die Technik der Vergrößerung und Verfremdung funktioniert hier also ähnlich wie bei den Badenden. Doch ist die in MII dargestellte Gestalt tatsächlich bedrohlich und wird nicht erst durch die Machart des Bildes zu einer Gefahr stilisiert. Erinnert werden wir auch an Unkenntlichmachungen im Fernsehen und Internet, die ein Erkennen der Person vermeiden sollen. Die Maskierung wird auf diese Art und Weise verdoppelt. Verunsicherung entsteht zudem noch durch das gewählte Medium, denn wir haben tatsächlich ein gemaltes Bild auf einer Leinwand vor uns, statt einer Fotografie, von der wir Verzerrungen und Verpixelungen aber eher erwarten würden als von einem Gemälde.

Ein Spiel und ein in die Irreführen der Erwartungshaltungen des Betrachters zeigt sich uns in dieser Schau auf voller Linie und erzeugt widersprüchliche Gefühle im Besucher, wenn er die Ausstellung „The Conspiracy of Nature Works“ durchschreitet. Das Verweigern jeder deutlichen Aussage und einer Auflösung der einzelnen Bildinhalte lässt den Betrachter allein und verunsichert zurück. Furcht und Irritation machen sich breit, steht man in dem großen Raum des Joseph und Rebecca Meyerhoff Pavillons und blickt an die weit oben angebrachte Serie in gleichen quadratischen Formen.
Zum Glück verlässt den Besucher das Gefühl aber, wenn er in die nächsten Räume weitergeht. Denn man sollte auf gar keinen Fall die vielfältigen Werke der Kunst des 20. Jahrhunderts verpassen, unter ihnen Monet, Rodin, Picasso, Calder, Pollock, Bacon u.v.m. Eine kleine Galerie alter Meister befindet sich neben weiterer zeitgenössischer israelischer Kunst im Untergeschoss und ist ebenfalls lohnenswert. Bei angenehmem Wetter ist auch der Skulpturengarten eine Besichtigung wert ebenso wie man auch die nebenstehenden Pavillons nicht auslassen sollte.

Liza